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Juli 2008
Strafverfahren, Strafverfolgung 23.07.2008 verdeckte Ermittlungen
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift Kritik am Erfolg
 

 
Die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft in Oldenburg im Zusammenhang mit der Tötung einer Beifahrerin durch einen von einer Autobahnbrücke geworfenen Holzklotz werden jetzt deshalb kritisiert, weil dabei die Verkehrsdaten eines Mobilfunkturms erhoben und ausgewertet wurden. Dabei sollen die Daten von 10.000 Menschen und 13.000 Mobilverbindungen zusammen gekommen sein (1). Es seien Beschlüsse zum Abhören der Telekommunikation ohne jede Begründung und ohne jeden Erfolg ergangen.

Zu Wort kommen vor allem der Spiegel, Andy Müller-Maguhn vom , der Staatsrechtsprofessor Christoph Gusy und am Rande die nicht namentlich genannten Verteidiger des mutmaßlichen Täters, Nikolai H. Die Quellen hinterlassen eine Menge Unfug.

Der beginnt beim Wort "Abhören". Vorratsdaten sind Verkehrsdaten und somit nur Daten über die äußeren Umstände der Telekommunikation. Sie sind keine Inhaltsdaten. "Abhören" bezieht sich aber auf das gesprochene oder geschriebene Wort. Genau das ist von den Verkehrsdaten ausgeschlossen (2).

Mit welcher Vorstellung die Oldenburger Ermittler die Turmdaten auswerten wollten, weiß ich nicht. Im Ergebnis haben sie damit recht gehabt, weil sie die Anwesenheit des mutmaßlichen Täters zur Tatzeit in der Funkzelle des Tatorts belegen konnten.
 

 
"Rasterfahndung" ist das nächste Blödwort in diesem Zusammenhang. Rasterfahnden kann man nur, indem man automatisch verschiedene Datenquellen aufgrund von definierten Kriterien gegeneinander abgleicht. Die (manuelle) Auswertung der Verkehrsdaten eines Turmes ist keine Rasterfahndung.

Keinem Ermittler interessieren die Verkehrs- oder Inhaltsdaten von Unverdächtigen. Bestenfalls werden sie von einem desinteressierten Ermittler (oder Dolmetscher, wenn die Kommunikation in einer Fremdsprache erfolgt) im Schnelldurchlauf überflogen und als uninteressant für die Ermittlungen verworfen. Sie landen auf einem Datenträger und werden nach Maßgabe von § 101 Abs. 8 StPO gelöscht oder verrotten dort bis zu seiner physikalischen Haltbarkeitsgrenze.

Mit der juristischen Mode, einen besonderen Kernbereichsschutz einzuführen, wird die Eingriffstiefe wegen höchstpersönlicher Meinungs- und Empfindungsäußerungen zusätzlich vertieft. Nun muss im Detail geprüft werden, ob ein Gespräch im Kernbereich geführt wird und vertrauliche Sexualitätsdetails, schwerste Krankheiten, weltanschauliche Erkenntnisse oder religiöse Bekenntnisse zum Gegenstand hat. Das prüft dann nicht nur der Dolmetscher, sondern auch der verantwortliche Ermittler und im Streitfall noch einige Juristen.

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Müller-Maguhn kritisiert die unpräzise Gestalt von Funkzellen. Recht hat er. Funkzellen haben keine Wabenform, sondern sind unregelmäßig und dabei abhängig von Geländeformen, Gebäuden und Witterungen. Und? Wenn ein Mobiltelefon in der Funkzelle eines Funkmasts eingelockt ist, dann befindet es sich physikalisch in dessen Empfangsbereich und nicht ganz weit weg. Für eine punktgenaue Ortung reicht das nicht und vermisste oder verunglückte Personen kann man anhand einer Funkzellenmessung nur dann finden, wenn man ihre physikalische Ausdehnung kennt.

Der Staatsrechtler kritisiert die mangelnde Definition der Anwendungsfälle und spricht von einer unzulässigen Breitbandaufklärung, weil die Verhältnismäßigkeit der Eingriffsmaßnahme ungeregelt sei.

Mit diesen Argumenten kann man nicht umgehen, weil sie zu allgemein sind und weder eine Angriffsfläche noch überhaupt eine Diskussionsgrundlage bieten.

Experten haben große Zweifel, ob die Abfrage und Auswertung von Verbindungs- und Standortdaten gesetzlich als Standardermittlungsmaßnahme vorgesehen ist.

Genau das sagt aber § 100g Abs. 2 StPO, allerdings unter den einschränkenden und strengen Bedingungen dieser Vorschrift.

Müller-Maguhn hat noch mehr auf Lager und spricht bedeutungsschwer von Verbindungsdaten. Diesen Begriff hat das Telekommunikationsgesetz schon lange aufgegeben und spricht seit 2004 von Verkehrsdaten ( § 3 Nr. 30 TKG). Sie umfassen auch die Geodaten, die der Stand-By-Modus von Handys verursacht, auch wenn keine SMS verschickt oder empfangen oder kein Gespräch geführt wird. Auch das ergibt sich im Ergebnis aus § 100g Abs. 2 StPO.
  

 
Schließlich wird der Anfangsverdacht bemüht und in Frage gestellt, dass dieser wegen aller unschuldigen Handynutzer bestehe. Wer behauptet das? Wenn ein Ermittler das Telefonbuch aufschlägt, um die Telefonnummer eines Beschuldigten zu erfahren, macht er damit auch nicht alle anderen verzeichneten Personen zu Beschuldigten. Solange die Identität des Beschuldigten nicht bekannt ist, besteht nur der Anfangsverdacht einer Straftat eines unbekannten Täters. Die Ermittlungen zielen darauf, diese Person zu ermitteln. An einer Straftat wird man in Anbetracht einer erschlagenen Frau kaum Zweifel haben können

Nur zur Erinnerung: Die Erhebung von Verkehrsdaten bedarf immer eines gerichtlichen Beschlusses und sei es zur Bestätigung einer staatsanwaltschaftlichen Eilentscheidung ( § 100b Abs. 1 S. 3 StPO). Jede dieser Anordnungen muss die gesetzlichen Vorgaben berücksichtigen und erkennen lassen, dass sie bei der Entscheidung geprüft wurden. Dabei können Fehler geschehen und ich wäre der Letzte, der sie leugnet. Bloß: Warum besteht dieses abgrundtiefe Misstrauen gegen die Strafverfolgung? Möchten die Kritiker gerne von Holzklötzen erschlagen werden und befürchten müssen, dass die Täter frei rumlaufen?

Ich mag Twister, aber ihre Wiederkäuung (3) der schon von Rötzer vorgetragenen Argumente, nunmehr geadelt durch die Kritik des zu keinen Überraschungen fähigen Unabhängigen Landesdatenschutzzentrums Schleswig-Holstein, machen das Ganze auch nicht besser.

Das Mäkeln an der Verkehrsdatenauswertung ist eben modern und die immer wieder betonte Position des Bundesverfassungsgerichts, wonach verdeckte und tief in Grundrechte eingreifende Ermittlungen im Zusammenhang mit der besonders schweren Kriminalität gerechtfertigt sind, ist irgendwie an den Kritikern vorbeigegangen.
 

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(1) Florian Rötzer, Bedenken gegen "Rasterfahndung" im Holzklotz-Fall, Heise online 23.07.2008

(2) Problematisch sind die Short Messages - SMS. Sie benutzen die Signalisierungsfunktion der Mobilnetze und sind eigentlich nur Verbindungsdaten, die "Huckepack" Inhaltsdaten transportieren. Das ist so als wenn ich an eine Telefonnummer eine Nachricht anhänge, die damit übermittelt wird. Bei dieser Art der Telekommunikation ist die Trennung zwischen Signalisierung und "Wort" schwierig, aber machbar. Dankt der TK-Industrie, die eine profitable Nische entdeckt haben.
 

 
(3) Twister, 10.000 Mann und ein Holzklotz. Zur Verhältnismäßigkeit von Abfragen in Datenhalden, Telepolis 28.07.2008

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018