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September 2009
24.09.2009 richterlicher Eildienst
     
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift nicht übereilter, sondern bedachter Rechtsschutz
 

 
 
Maßgeblich <für die Gefahr im Verzug> ist die objektive Gefahrenlage hinsichtlich des Beweismittelverlustes. (1)
 
 
Ferner ist es unerheblich, ob ein Organisationsverschulden der Justiz darin gesehen werden könnte, dass ein richterlicher Eildienst nicht auch für die Zeit zwischen 21:00 Uhr und 6:00 Uhr eingerichtet worden ist. Zwar ist der 3. Senat des OLG Hamm für den Bezirk des LG Bielefeld von der Notwendigkeit eines solchen Eildienstes ausgegangen (Urteil vom 18.08.2009 - 3 Ss 293/08 (2) ). Der Senat teilt diese, im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung zur Nachtzeit ergangenen Entscheidung und die dort angestellten Überlegungen nicht. Jedenfalls können sie nicht auf die Anordnung einer Blutentnahme gem. § 81a StPO übertragen werden. Dies folgt schon daraus, dass im Gegensatz zu dem im Grundgesetzt angeordneten Richtervorbehalt für die Wohnungsdurchsuchung, Art. 13 II GG, der Vorbehalt des § 81a StPO ein einfachgesetzlicher ist. Dies ist sowohl bei der Frage, ob aus einer Verletzung des Vorbehaltes ein Beweisverwertungsverbot folgen kann, wertend mit heranzuziehen, als auch schon bei der Vorfrage, ob wegen der Anzahl der Blutentnahmen zur Nachtzeit ein Eildienst zwingend erforderlich ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass wegen der Eilbedürftigkeit ohnehin nur ein telefonischer Antrag und eine entsprechende Entscheidung möglich sind. Eine sachliche richterliche Kontrolle, ob die Voraussetzungen für die Anordnung gegeben sind, könnte nur sehr eingeschränkt stattfinden. Der Sinn des Richtervorbehalts, dem betroffenen Bürger einen möglichst effektiven Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 IV GG zu gewähren, ließe sich auf diesem Wege kaum erreichen. Der mit der Einrichtung eines Eildienstes einhergehende erhebliche personelle Aufwand - bei den knappen Ressourcen der Justiz - stünde damit in meinem Verhältnis zu dem erreichten Erfolg hinsichtlich des Rechtsschutzes des Bürgers vor Strafverfolgungsmaßnahmen. - Der 1., 2. und 5. Senat haben auf Anfrage mitgeteilt, dass sie diese Ansicht teilen. - (1)
 
 

 
Der 3. Senat des OLG Hamm hat unlängst einen richterlichen 24-Stunden-Eildienst für das Landgericht Bielefeld gefordert (2), dessen Fehlen zu einem Verwertungsverbot der Erkenntnisse aus einer polizeilichen Anordnung bei Gefahr in Verzug führe.

Der 4. Senat rückt das von seinen Kollegen ausgelöste, Aufsehen erregende Spektakel wieder zu Recht (1). Er fordert, jedenfalls wegen Eilentscheidungen im Zusammenhang mit Blutprobenentnahmen, keinen richterlichen Eildienst zur Nachtzeit und wendet sich ausdrücklich gegen die Ansichten seines kollegialen Senats.

Beachtlich sind die Argumente, die er verhalten bringt. Mit meinen Worten: Der Bürger wird nicht dadurch in seinen Grundrechten geschützt, dass er ständig das richterliche Machtwort in Anspruch nehmen kann, sondern nur dadurch, dass der Richter den Sachverhalt auch in Ruhe bedenken und prüfen kann. Nächtliche Eildienste können nur per Telefon abgewickelt werden und für sie gelten die Gesetze der Stillen Post. Das kann gut funktionieren, wenn sich die Beteiligten aus dem Berufsalltag kennen und einschätzen können. Ein Staatsanwalt oder Richter, der von einem beliebigen Polizeibeamten aus dem Schlaf gerissen wird und darauf vertrauen muss, dass ihm ein sauber zusammen gefasster Sachverhalt geschildert wird, kann viele Einzelheiten hinterfragen, jedoch nur eine auf komprimierte Sachverhalte und Wertungen reduzierte Entscheidung treffen.

Kurz gesagt: Nur der ausgeschlafene Richter oder Staatsanwalt kann gerechte Entscheidungen treffen. Gerechtigkeit braucht eine gewisse Weile und sei es, dass sie erst am nächsten Tag oder nach einer Woche zum Zuge kommt (was sicherlich die Schmerzgrenze ist - in wirklich kniffligen Fällen, in denen es um unmittelbare Freiheitseingriffe geht).
 

 
Diese Wendung finde ich beachtlich: Rechtsschutz ist nicht die übereilte, sondern die bedachte Entscheidung.

Das Grundgesetz will Willkür und Schattenmächte vermeiden. Daran tut es gut.

Dort jedoch, wo ganz schnelle Entscheidungen zu treffen sind (zum Beispiel wegen Art. 46 Abs. 2 GG), da muss der richterliche Rechtsschutz hinter der exekutiven Anordnungsbefugnis kurzfristig zurücktreten.

Das Gegengewicht zur Willkür bilden dann die Zuständigkeits- und die Regeln zum nachträglichen Rechtsschutz.

Damit dürften alle leben können.

Die neue Entscheidung des OLG Hamm verdient Lob, weil sie endlich die Justizjuristen nicht als Subsumtionsautomaten betrachtet, sondern als Menschen mit langer Ausbildung und Verantwortungsbewusstsein, die ihre Stärken aber nur dann ausspielen können, wenn sie wie jeder andere Berufstätige in ihrer angepassten Berufsumgebung handeln können, eine Infrastruktur haben und genug Zeit, um die von ihnen verlangten Entscheidungen zu bedenken.
 

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(1) OLG Hamm, Beschluss vom 10.09.2009 - 4 Ss 316/09;
jetzt auch bei Burhoff: OLG Hamm, Beschluss vom 10.09.2009 - 4 Ss 316/09

(2) nächtlicher Richter-Eildienst

 

 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018