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März 2010
28.03.2010 Verkehrsdaten
     
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift Zugangserschwerung
    Im Übrigen könnten die Methoden, die vor 2008 zum Einsatz gekommen seien, auch weiter genutzt werden ... (1)
 
 

Nachdem das BVerfG die Nichtigkeit der §§ 113a, 113b TKG festgestellt und damit die Speicherung von Vorratsdaten verboten hat (2), kommt den einfachen Verkehrsdaten nach § 96 TKG eine besondere Bedeutung zu. Sie dürfen von den Zugangsprovidern zu Abrechnungs- und anderen Zwecken vorübergehend gespeichert werden.

Fast unbemerkt hat sich aber auch § 96 TKG (Synopse) durch das Zugangserschwerungsgesetz geändert. Der neu gefasste Abs. 2 erklärt jede Datenspeicherung ohne Ermächtigung aus dem TKG oder dem ZugErschG als unzulässig. Im Ergebnis speichern deshalb die Provider die Verkehrsdaten nur noch tageweise oder gar nicht.

Das ZugErschG entstand unter der Maßgabe, dass die Vorratsdatenspeicherung erfolgt. Dadurch war es politisch ungefährlich, im Gegenzug zur Sperrliste und der Benachrichtigung des BKA weitere Einschränkungen in das TKG aufzunehmen.

Jetzt haben wir ein Gesetz, das rechtswidrig nicht vollzogen wird (3), eine durch dieses Gesetz bewirkte Einschränkung der Verkehrsdatenspeicherung und keine Vorratsdatenspeicherung mehr.
 

Nach Auskunft eines Brancheninsiders soll ein großes TK-Unternehmen 2009 insgesamt 20.000 Anfragen von Strafverfolgungsbehörden nach den Nutzern dynamischer IP-Adressen gehabt haben. Dem sollen ganze 2.000.000 gewerbliche Anfragen in Bezug auf Urheberrechtsverstöße gegenüber gestanden haben, also 100 Mal so viele. Sie werden jetzt gar nicht oder nur binnen weniger Tage beantwortet werden können.

Das Geschäftsmodell Abmahnung wird weitgehend zum Erliegen kommen und die Branchenvertreter werden sich bei der Bundesjustizministerin zum Jammern die Klinke in die Hand geben.

Die Ministerin hingegen versteht vor allem die Aufregung der Strafverfolgung nicht (4) und empfiehlt den Ermittlern die Methoden, die bis 2008 angewandt wurden (5). Zur Auffrischung des Mittelzeitgedächtnisses sei daran erinnert, dass seinerzeit der rechtsfreie Raum Internet befürchtet und die Vorratsdatenspeicherung händeringend herbeigesehnt wurde (6). Schon 2005 hatte das AG Darmstadt die Deutsche Telekom angewiesen, keine Verkehrsdaten von Flatrate-Kunden zu speichern, was der BGH bestätigt hat (7). Wer hat heute keine Flatrate für seinen Festnetz- und Internetzugang?
 

zurück zum Verweis Perspektiven quick freeze
 

 
 
Die Kritiker scheinen die Vorstellung zu haben, dass Polizeibeamte und Staatsanwälte ständig an den Straßen sitzen und Autokennzeichen aufschreiben. Mit den dynamischen IP-Adressen ist es hingegen so wie bei den Autos mit roten Kennzeichen. Wir müssen zunächst bei dem Autohändler nachfragen, wem er es gegeben hat, um den Verkehrssünder zu ermitteln.
(sinngemäßes Zitat von einem Kollegen aus Halle)
  
 


Es kann jetzt davon ausgegangen werden, dass Verkehrsdaten bis zu eine Woche gespeichert werden. Danach lassen sich weder die Geodaten in Bezug auf die Täteridentifizierung noch dynamische IP-Adressen wegen der Bestandsdatenauskunft erheben. Die meisten Geschädigten durch einfache Internetkriminalität werden deshalb zu spät merken, dass sie betrogen oder beleidigt wurden. Ihnen wird jetzt der Rechtsschutz verweigert.

§ 100g StPO ist hinfällig, soweit es um die Verkehrsdaten der Vergangenheit geht. In den nächsten Monaten werden sich die Meldungen häufen, dass immer mehr Straftäter und Verstöße gegen gewerbliche Schutzrechte nicht mehr verfolgt werden können. Der unvermeidliche Schlagabtausch hat schon begonnen (8).

Wie lange dieser Zustand andauern wird, kann niemand vorhersagen. Es kann sich nur um Jahre handeln.
 


Die ahnungslosen Mahner werden vielfach darüber belehrt, dass sie das quick freeze-Verfahren nutzen können und das sei genauso effektiv wie der Zugriff auf Vorratsdaten (9).

Tatsächlich: In einem richtigen Überwachungsstaat funktioniert das Einfrieren ganz toll. Jedermann und alles wird dort ständig überwacht und wenn es Hinweise auf Straftaten oder andere böse Aktivitäten gibt, dann schneiden wir alles mit.

In solchem Staat möchte ich aber nicht leben.

Das quick freeze funktioniert nur bei laufenden Aktivitäten und nicht bei solchen, die bereits abgeschlossen sind. Es ist u.a. Bestandteil der Cybercrime Convention und wird die geplante Kriminalität verhindern helfen. Zur Aufklärung vergangener Straftaten ist es gänzlich ungeeignet.
 

zurück zum Verweis Anmerkungen
 

 
(1) Kai Biermann, Leutheusser schlägt Sicherheitsbedenken in den Wind, Zeit online 03.03.2010

(2) Vorratsdatenspeicherung ist unzulässig

(3) Verweigerung; siehe auch den Erlass des BMI vom 17.02.2010 - ÖS | 3 625 355/34

(4) Statt vieler: Oberstaatsanwalt Reichert: "Wir sind im luftleeren Raum", Pforzheimer Zeitung 11.03.2010

(5) (1)
 

 
(6) teure Vorratsdatenhaltung;
Vorratsdatenhaltung: Letzte Hürde überwunden

(7) BGH bestätigt Urteil zur Löschung von IP-Adressen, Heise online 06.11.2006

(8) Schlagabtausch zur Vorratsdatenspeicherung im Bundestag, Heise online 26.03.2010

(9) Polizeipräsident: Urteil zur Vorratsdatenspeicherung bremst Polizei aus, Heise online 24.03.2010
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018