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November 2010
30.11.2010 10-11-46 Deal
     
zurück zum Verweis Verständigung #2 Hose runter !

 
Zwar ist es einem Richter auch nach den Vorschriften des am 4. August 2009 in Kraft getretenen Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 [... (1)] grundsätzlich nicht verwehrt, zur Förderung des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten auch außerhalb der Hauptverhandlung Kontakt aufzunehmen. Dabei hat er jedoch die gebotene Zurückhaltung zu wahren, um jeden Anschein der Parteilichkeit zu vermeiden. Dies gilt mit Blick auf einen möglichen Interessenwiderstreit in besonderem Maße, wenn Gespräche über eine verfahrensbeendende Absprache mit einem Angeklagten unter Ausschluss eines vom selben Tatkomplex betroffenen, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machenden oder die Tatvorwürfe bestreitenden Mitangeklagten geführt werden. In solchen Fallkonstellationen liegt es nahe, dass bei dem an dem Gespräch nicht beteiligten Mitangeklagten berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter aufkommen können, da aus seiner Sicht zu befürchten steht, dass auch auf Betreiben des Gerichts seine Tatbeteiligung hinter verschlossenen Türen und ohne seine Kenntnis mitverhandelt wird. Dieser verständlichen Besorgnis kann zuverlässig nur dadurch begegnet werden, dass Gespräche, die die Möglichkeit einer Verständigung zum Inhalt haben, auch außerhalb der Hauptverhandlung nur in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten oder offen in der Hauptverhandlung geführt werden. Gleichwohl sieht das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren keine Vorschrift vor, die Gespräche mit einzelnen Verfahrensbeteiligten außerhalb der Hauptverhandlung untersagt. Haben solche Erörterungen jedoch stattgefunden, muss der Vorsitzende auch bei einem ergebnislosen Verlauf und unabhängig davon, ob neue Aspekte im Sinne des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO zur Sprache gekommen sind, hierüber in der Hauptverhandlung umfassend und unverzüglich unter Darlegung der Standpunkte aller beim Gespräch anwesenden Verfahrensbeteiligten informieren, da nur auf diese Weise von vorneherein jedem Anschein der Heimlichkeit und der hieraus entstehenden Besorgnis der Befangenheit vorgebeugt und dem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren Rechnung getragen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 1990 - 3 StR 121/89, BGHSt 37, 99, 104; ...). (2)
 

 
Unlängst hat der Cyberfahnder über die gesetzlichen Regeln zur Verständigung im Strafverfahren und die Rechtsprechung dazu berichtet (1). Jetzt ist eine weitere Entscheidung des BGH hinzu gekommen, die sehr respektvoll und ausführlich die Rolle des Gerichts in diesem Zusammenhang schildert [ links, (2)].

Verständigung darf nicht als fauler Kompromiss und willkürlicher Deal angesehen werden, deren Vorbilder gerne in amerikanischen Spielfilmen zu sehen wären.

Es darf keine "Punktstrafe" ausgehandelt werden, sondern nur eine Ober- und Untergrenze für die Strafe, also ein Strafrahmen (3).

Die Strafe muss schuldangemessen sein ( § 257c Abs. 4 StPO).

Rechtsfragen sind einer Verständigung nicht zugänglich. Das gilt etwa für die Frage der bevorzugten Anrechnung von Auslieferungshaft (4), für Vollstreckungsabschläge wegen menschenunrechtswürdiger Verfahrensverzögerungen (5) oder wegen Zusagen zur Strafvollstreckung (6), besonders zum Absehen der Vollstreckung wegen Abschiebung oder Auslieferung ( § 456a StPO).

Auch nicht verhandlungsfähig sind die Voraussetzungen des materiellen Strafrechts für Strafrahmenverschiebungen.

Das gilt zum Beispiel für den Täter-Opfer-Ausgleich ( § 46a StGB). Das ernsthafte Bemühen des Täters um Schadenswiedergutmachung kann das Gericht damit belohnen, dass es nach Maßgabe des § 49 StGB den Strafrahmen mildert.

Das gilt auch für die wieder eingeführte Kronzeugenregelung ( § 46b StGB), das heißt für die freimütige Äußerung über nicht nur die eigenen Straftaten, sondern auch die Aufklärung der Beteiligungen anderer.
 

 
Milde gewähren schon die allgemeinen Strafzumessungsregeln in § 46 StGB. Die Kronzeugenregeln gehen weiter, indem sie eine Strafrahmenmilderung zulassen, wenn der Täter freiwillig und rechtzeitig sein Wissen über besonders schwere Straftaten nach Maßgabe des Straftatenkatalogs im Sinne von § 100a Abs. 2 StPO offenbart und dabei neben seiner eigenen Beteiligung auch die Handlungen anderer bekanntgibt.

Mit § 46b Abs. 3 StGB begrenzt der Gesetzgeber die zeitliche Dimension des Entgegenkommens: Der Täter muss sich schnell entscheiden. Die Wohltat steht ihm nur zu, wenn er sich bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens nicht nur taktisch (7), sondern umfassend äußert, also auch zu den Mittätern und Hinterleuten.

Der Gesetzgeber hat damit eine vernünftige Linie auch für die Verständigung in der Hauptverhandlung gezogen: Nach den verfahrensrechtlichen Formalitäten ( § 243 StPO) hat der Angeklagte das Wort ( §§ 243 Abs. 5 S. 2, 244 Abs. 1 StPO). Das ist für ihn die Gelegenheit, seine Leistung für die Wohltaten einer Verständigung zu erbringen.

Äußert er sich erst später und vor Allem taktisch nach dem Motto, "ich gestehe alles, was man mir nachweisen kann", dann reduziert sich das Entgegenkommen immer mehr; faktisch bis auf Null oder nahe dem.

Jedes Geständnis muss bei der Strafzumessung gewürdigt werden. Welche Auswirkungen es hat, ist eine andere Frage und davon abhängig, wann es erfolgt, welche Klarheiten es schafft (wobei danach gefragt wird, welche Beweiserhebungen dadurch vermieden werden) und wie sehr es das Umfeld der Straftat aufhellt.

Anbiederungen des Gerichts hat der BGH deutliche Absagen erteilt (8). Sie sind unwürdig und unprofessionell.
 

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(1) Rechtsmittel nach einer Verständigung im Strafverfahren, 04.09.2010

(2) BGH, Beschluss vom 05.10.2010 - 3 StR 287/10, S. 5

(3) BGH-Rundschau, 26.11.2010

(4) Ist der Täter aus dem Ausland ausgeliefert worden, so muss das Gericht über den Maßstab der Anrechnung der Auslieferungshaft entscheiden. Er lautet in aller Regel auf 1:1, das heißt, dass ein Tag in Auslieferungshaft als ein Tag der Strafe angerechnet wird. Eine Anrechnung im Sinne von 1:1,5 bedeutet, dass 2 Tage Auslieferungshaft wie 3 Tage Freiheitsstrafe anzurechnen sind. Die im Inland erlittene Untersuchungshaft wird hingegen von Gesetzes wegen im Verhältnis 1:1 angerechnet ( § 51 Abs. 1 StGB).

(5) No Deal ! 22.11.2010

(6) BGH-Rundschau, 26.11.2010

(7) BGH-Rundschau, 26.11.2010

(8) No Deal ! 22.11.2010
 

 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018